Der Ordonanzrevolver spiegelt die gesellschaftliche und technologische Entwicklung Europas deutlich wieder. Er wurde erst durch die technologische Entwicklung ermöglicht und durch die gesellschaftliche Entwicklung der Nationalstaaten notwendig. Dies soll in den folgenden Unterkapiteln gezeigt werden.

Gesellschaftliche Entwicklung Europas

Das 19. Jahrhundert ruht auf den tragenden Eckpfeilern der Industrialisierung, des demografischen Wandels (Auswanderung, Binnenwanderung und Verstädterung sind Massenphänome), der Durchsetzung des nationalstaatlichen Prinzips sowie der Verbürgerlichung der Gesellschaft. Die Nationen Europas befanden sich in einem heftigen technologischen, militärischen und wirtschaftlichen Konkurrenzkampf. Deutschland, Österreich und Frankreich kämpften um die Vormachtstellung in Europa. Italien und die BeNeLux-Staaten, sowie die Schweiz mussten zusehen, daß sie bei diesem Wettrüsten nicht unterlagen. So interessierten sich die Militärs immer für die neueste Waffentechnologie, in der Hoffnung, daß sie dadurch ihre Machtposition sichern und ausbauen könnten. Das Wettstreiten der Nationen läßt sich leicht anhand der europäischen Kriege von 1800 bis 1920 nachweisen und findet seine Fortsetzung im 2. Weltkrieg. Die Tabelle 1  zählt diese zahlreichen innereuropäischen Konflikte auf.

Datum

Weltgeschehen

1814 bis 1815

Ende der Napoleonischen Kriege, Wiener Kongress

1848 bis 1849

Sardinisch-Österreichischer Krieg

Preußisch-Dänischer Krieg

1853 bis 1856

Krimkrieg zwischen Russland gegen das Osmanische Reich, England, Frankreich und Piemont-Sardinien. Der Pariser Frieden 1856 als Folge des Krimkriegs führt zu einer Neuordnung Europas

1859 bis 1870

Italienischer Einigungskrieg

1863

Deutscher Einigungskrieg Preußens gegen Dänemark ("Deutsch-Dänischer Krieg")

1866

Deutscher Einigungskrieg Preußens gegen Österreich ("Deutsch-Österreichischer Krieg")

1870 bis 1871

Deutsch-Französischer Krieg

1914 bis 1918

Erster Weltkrieg

Tabelle 1: Europäische Kriege von 1814 bis 1918





Für die Revolverherstellung relevante technologischen Entwicklungen

Mehrere technologische Erfindungen und Entwicklungen waren notwendig, bis an eine industrielle Fabrikation von Revolvern gedacht werden konnte. Der Revolver als hoch komplexes mechanisches Konstrukt ist somit ein Abbild dieser Entwicklungen und zeigt die technisch-, geistig und kulturellen Weiterentwicklung der Zivilisationen Europas.

Im 19. Jahrhundert stand durch die Forcierung des Bergbaues genug Eisenerz und Kohle für die Fabrikation von Stahlwaren zur Verfügung. Die Weiterentwicklung der Dampfmaschine sorgte dafür, daß eine standortunabhängige Antriebsquelle zur Verfügung stand. Maschinen mußten nicht mehr durch Muskel- , Wind- oder Wasserkraft angetrieben werden, die Fabriken waren nun nicht mehr zwingend auf natürliche Kraftquellen angewiesen. Der Ersatz der Muskelkraft durch Maschinen ermöglichte enorme Produktionssteigerungen. Die Standortunabhängigkeit der Firmen wurde durch die Erfindung der Eisenbahn (1825) weiter gefördert. Eisenerz, Kohle und die fertigen Produkte konnten mit dieser rasch über weite Entfernungen transportiert werden. Waffenfabrikationszentren, wie z. B. Lüttich (Liège), Hembrug oder Suhl konnten sich herausbilden. Die Firmen in diesen Zentren befruchteten sich gegenseitig und konnten Facharbeitskräfte austauschen.

Die Drehbänke, als eines der wichtigsten Werkzeuge der Waffenherstellung, wurden weiterentwickelt. Ca. 1800 gelang es Henry Maudslay durch die Kopplung des Supports mit einer Leitspindel und dessen Führung in präzis gearbeiteten Metallschienen den Kreuzsupport für den Maschinenbau zu entwickeln. Dieses bedeutete die Schaffung der Werkzeugmaschine mit Festführungen und mechanischem Antrieb des Werkzeugs. Dadurch wurde erst die Herstellung von gleichen, untereinander austauschbaren Teilen möglich. Die Erfindung der Revolverdrehbank durch den Amerikaner Stephen Fitch (1845) war ein wichtiger Beitrag innerhalb der Entwicklung des Werkzeugmaschinenbaus. Der Support der Revolverdrehbank wurde als Mehrfachwerkzeughalter gebaut, der durch Drehen die Werkzeuge der Reihe nach in Arbeitsstellung bringt. Dies brachte eine enorme Zeitersparnis bei der Fertigung mit sich. Bei seinen Forschungen zur Automatisierung der Schraubenherstellung erfand Christopher Spencer die automatische Revolverdrehbank, die 1873 patentiert wurde. Entscheidend für den Übergang von der ’einfachen’ Revolverdrehbank zur selbsttätigen Maschine und zur Schaffung von Drehautomaten war die Erfindung der automatischen Spannvorrichtung für Stangenmaterial. 1877 erfand Crave (USA) den Mehrspindeldrehautomat (Crave, USA). Automaten wurden zunächst in Anlehnung an die Revolverdrehbank mit einer Spindel und mehreren Stahlhaltern ausgerüstet, die nacheinander oder auch gleichzeitig das Werkstück bearbeiten. Die Steuerung erfolgte über Kurvenscheiben. 1887 folgte der Kopierdrehautomat: Kopierdrehmaschinen fertigten selbständig Werkstücke nach einem vorgefertigten Modell. Dabei wurde der Umriß einer Schablone oder eines Musterstücks abgetastet.


Die Materialkunde und die Verarbeitungstechniken machten ebenfalls Fortschritte. Aufgrund der hohen mechanischen Belastung der Revolverkonstruktion ist die Verwendung von Stahl unumgänglich für die Herstellung zuverlässiger Waffen. Dessen Verfügbarkeit und dessen schwierige und aufwändige Verarbeitung, gerade bei kleineren Waffenteilen, stellten bisher große Produktionshemmnisse dar. Das Verarbeitungsproblem wurde durch die Einführung von Gußstahl gelöst. Die ersten erfolgreichen Versuche komplizierte Teile aus Stahl in einem Stück zu gießen unternahm der in Dunningen geborene Jacob Mayer als technischer Direktor des Bochumer Vereins im Jahr 1841. Sein Verfahren ließ er sich 1851 patentieren. Nun war es möglich auch komplizierter aufgebaute Teile rationell und in größeren Stückzahlen durch Gusstechnik zu fertigen. Durch die Erfindung der Bessemerbirne durch Sir Henry Bessemer (* 19. Januar 1813 in Charlton, Hertfordshire; † 14. März 1898 in London) wurde das erste Verfahren Stahl, günstig in Massenproduktion herzustellen, entwickelt. Stahl konnte nun relativ preisgünstig aus Eisenerz gewonnen werden.


Neben den technischen Problemen mußten auch organisatorische Probleme gelöst werden. Für eine Massenproduktion waren nicht genug Büchsenmacher vorhanden.

Der Aufbau und die Erweiterung des Fabrikwesens führte zu eine Reduktion der Anzahl der benötigten Meistern bei der Produktion. Dies kam durch die Aufteilung des Produktionsablaufes in klar definierte Arbeitsschritte und das Anlernen von Fabrikarbeitern für genau diese Arbeitsschritte sowie durch den Einsatz von funktionsoptimierten Maschinen. Die Vereinfachung des Produktionsprozesses hatte auch zum Vorteil, das die Arbeitskräfte schneller ausgetauscht werden konnten, da die Anlernzeiten sich verringerten. So konnte schneller auf Marktschwankungen reagiert werden. Die Rationalisierung sowie der verstärkte Einsatz von Maschinen in der Fertigung erlaubten zum einen eine höhere Produktionsmenge und ermöglichten so eine günstigere Herstellung. Ohne genügende Produktionskapazität wäre der Bedarf der Militärs an Revolver nicht zu decken gewesen und hätte so den Revolver für die Militärs unbrauchbar gemacht. Zum anderen erlaubt der Einsatz von Maschinen in der Produktion eine höhere Genauigkeit und Maßhaltigkeit der herzustellenden Werkstücke. Eine Austauschbarkeit der wichtigsten Verschleißteile ist eine militärische Notwendigkeit für ein kriegstaugliches Waffensystem, da sonst die Instandsetzungsarbeiten und die Lagerhaltung zu aufwändig wären. Dies wurde unterstützt durch die fortschreitende Normierung und die wachsende Bedeutung der Qualitätssicherung und des lehrenhaltigen Arbeitens, welches weitere tragende Säulen der Massenfabrikation waren.

Revolverfabrikation

Eine Beschreibung der Revolverfabrikation findet sich in [POL], in [HEH1] und in [HEH2]. Es sei hier ein Auszug aus dem politechnischen Journal aus dem Jahre 1856 [POL] zitiert, der sich mit der Fabrikation der Colt Revolver in London im Jahr 1856 befaßt.1

In der Fabrik von Col. Colt fanden 200 Menschen Arbeit, Männer, Frauen und Kinder. In der Woche konnten ca. 600 Waffen gefertigt werden. Gefertigt wurde vorwiegend das Navy 1851-Modell und der Pocket-1849-Revolver. Der Maschinenpark kam hauptsächlich aus Amerika.

Die Herstellung der wesentlichen Waffenteile

Der angelieferte Stangenstahl wurde in besonders konstruierten Schmieden auf Rotglut erhitzt. Der Lauf mit dem Laufansatz wurden dann mittels einer Ryderschen Gesenkschmiede durch Schmieden in mehreren Gesenken grob herausgearbeitet. Der Rahmen wurde auf einer neuartig konstruierten Schmiedemaschine vorgefertigt, die über mehrere Fallhämmer verfügte. Es konnte rationell an mehreren Gesenken gleichzeitig gearbeitet werden, so daß ein Rahmen in 2 Minuten fertig ausgeschmiedet war. Die Herstellung der Trommel geschah direkt aus Sheffield geliefertem Rundmaterial, welches nur noch abgestochen wurde. Anschließend wurden Lauf, Rahmen und Trommel geglüht.

Die Endbearbeitung der einzelnen Waffenteile

Die Läufe wurden auf Bohrmaschinen gebohrt. Dabei verwendete Colt eine Maschine, welche einen schnellen Wechsel der Werkzeuge und das schnelle Zurückziehen der Bohrer zwecks Ölung erlaubte. Die Läufe wurden auf einer weiteren Bohrmaschine auf Kalibermaß gebracht. Bei dieser Maschine konnten mehrere Läufe auf einmal bearbeitet werden. Anschließend wurden die Läufe innen poliert. Nun wurden die Löcher für Trommelachse und Ladepresse gebohrt sowie die Außenkontur des Laufes fertig gestellt. Das Einbringen der Züge geschah auf weitgehend automatisch arbeitenden Maschinen, die pro Tag ca. 100 Läufe ziehen konnten. Nach dem Ziehen wurden die Läufe poliert.

Der Rahmen wurde zu Beginn der weiteren Bearbeitung zentriert. Anschließend wurden von einer besonders konstruierten Fräsmaschine die Außenkonturen bearbeitet. Diese Maschine war in der Lage die entgegengesetzten Rahmenseiten in einem Arbeitsgang fertig zu stellen. Danach wurden die erforderlichen Öffnungen in den Rahmen eingebracht.

Die Trommel wurde aus Rundstahl gefertigt. Auf einer einfachen Drehbank mit mechanischer Vorlage, wurde die Außenkontur der Trommel sowie der Ansatz für den Fortschaltkranz gefertigt. Anschließend wurden die Trommelachsenbohrung eingebracht und die zentrierte Trommel auf beiden Seiten sowie auf der Umfangsfläche abgedreht und poliert. Als nächster Schritt geschah das Bohren der Trommelkammern. Die hierfür verwendete Bohrmaschine war so konstruiert, daß sie erstens eine Wechsel der Werkzeuge erlaubte, so dass eine Trommelbohrung ohne Umspannen des Werkstückes vollendet werden konnte und zweitens nur durch Weiterdrehen der Trommel eine weite Kammer gebohrt werden konnte. Hierbei kam es auf große Maßhaltigkeit an. Im Anschluß wurden auf einer ähnlich konstruierten Maschine die Bohrungen für die Pistonaufnahme gebohrt.

Auf die Beschreibung der Fertigung der restlichen Teile wird hier verzichtet. Es ist jedoch anzumerken, daß hierbei ebenfalls sehr weit entwickelte Maschinen, wie z. B. Kopierfräßen zum Einsatz kamen.



1Der Artikel wird nur in gekürzter und zusammengefaßter Art und Weise wiedergegeben.